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Steigen die Zahlen von verschwundenen Kindern und Jugendlichen ?

Es ist die Urangst von Eltern: Das eigene Kind ist von einer Sekunde auf die andere spurlos verschwunden und taucht nicht mehr auf. Nicht nach Tagen, nicht nach Wochen, nicht nach Jahren. Was bleibt, ist nur quälende Ungewissheit über das, was passiert sein könnte. Ein Albtraum für die Angehörigen. Doch wie oft passiert das wirklich in unserem Land? Einige Medien schüren Ängste, suggerieren ein hohes Gefährdungspotenzial für alle Kinder. Wenn beispielsweise der NDR kurz vor dem Internationalen Tag der vermissten Kinder im Mai auf seiner Internetseite titelt: „Fast 170 Kinder werden in Niedersachsen vermisst“, zeigt das natürlich Wirkung. Dass in dem Text selbst und in einem wenige Tage später erscheinenden nochmaligen Bericht zu dem Thema zu lesen ist, dass sich „glücklicherweise die meisten Fälle nach kurzer Zeit von selbst aufklären“, geht fast unter.  Ohne die schlimmen Einzelfälle, in denen Kinder und Jugendliche tatsächlich spurlos verschwunden bleiben, herunterspielen zu wollen – jeder Fall ist für sich schrecklich genug – handelt es sich hier offensichtlich um kein besorgniserregendes Phänomen. Auch die Vermissten-Zahlen steigen seit Jahren nicht.

Das Bundeskriminalamt (BKA) kritisiert denn auch jede Panikmache: „In der Berichterstattung entsteht mitunter der Eindruck, dass die Anzahl nicht wieder aufgefundener Kinder beziehungsweise nicht aufgeklärter Fälle dramatisch hoch sei, eine maßgebliche Anzahl vermisster und nicht wieder aufgefundener Kinder Opfer sogenannter Kinderpornografie-Ringe seien, die Polizei nicht genug unternehme, um dem Einhalt zu gebieten. Das ist nicht so.“ Wie es tatsächlich ist, belegt ein Blick auf die 1992 von den Polizeidienststellen aller Länder in Betrieb genommene Datei „Vermi/Utot“ (Vermisste/ Unbekannte Tote). Darin enthalten sind die Daten sämtlicher in Deutschland gemeldeter aktueller Vermissten-Fälle, unbekannter Leichen, nicht identifizierter hilfloser Personen sowie die dem BKA gemeldeten ausländischen Fälle. Im Mai 2017 waren hier insgesamt rund 16.300 aktuelle Vermisstenfälle gespeichert. Darunter zirka 14.000 in Deutschland als „vermisst“ gemeldete Personen. In dieser Zahl sind sowohl Fälle enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch Vermisste, die bis zu 30 Jahre verschwunden sind. Täglich werden jeweils etwa 250 bis 300 Fahndungen neu erfasst und auch gelöscht. Erfahrungsgemäß erledigen sich etwa 50 Prozent der Vermissten-Fälle innerhalb der ersten Woche. Binnen Monatsfrist liegt die „Erledigungs-Quote“ bereits bei über 80 Prozent. Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, bewegt sich bei nur etwa drei Prozent.

Etwa die Hälfte aller Vermissten sind Kinder und Jugendliche. Für ihr Verschwinden gibt es die unterschiedlichsten Gründe (zum Beispiel Probleme in der Schule oder mit den Eltern, Liebeskummer etc.). Am 23.5.2017 waren in Deutschland – gerechnet ab dem frühesten registrierten Vermisstendatum 3.3.1951 – insgesamt 1.869 ungeklärte Fälle zu vermissten Kindern in der Datei „Vermi/Utot“ erfasst. Mehr als die Hälfte dieser Kinder sind unbegleitete Flüchtlinge oder wurden ihren Sorgeberechtigten entzogen. Die Gesamtzahl beinhaltet darüber hinaus Dauerausreißer/Streuner, das heißt, Kinder, die wiederholt weglaufen beziehungsweise aus ihrem gewohnten Lebensumfeld verschwinden. Insgesamt kann man damit sagen, dass tagtäglich zwar viele Kinder als vermisst gemeldet werden, jedoch der Anteil der Kinder, deren Verbleib auch nach längerer Zeit nicht geklärt werden kann, sehr gering ist. Bei wie vielen vermissten Kinder zu befürchten ist, dass diese Opfer einer Straftat oder eines Unglücksfalls wurden, sich in einer Situation der Hilflosigkeit befinden oder nicht mehr am Leben sind, ist schwierig zu beantworten. Vermutlich aber nur ein Bruchteil. Fakt ist: Von den bereits angesprochenen 170 Kindern, die in Niedersachsen aktuell „abgängig“ sind, geht das niedersächsische LKA in lediglich fünf Fällen davon aus, dass die Kinder tatsächlich Opfer einer Straftat wurden. Lüneburgs Polizeisprecher Kai Richter: „In

Lüneburg ist mir dazu kein aktueller Fall bekannt.“ Falls eine Vermisstensache nicht aufgeklärt wird, bleibt die Personenfahndung bis zu 30 Jahre bestehen. Darunter gibt es rätselhafte Fälle, in denen die Ermittler völlig im Dunkeln tappen. Der Fall Katrin Konert ist so einer. Von der damals 15-Jährigen aus dem Wendland fehlt seit rund 6.000 Tagen jede Spur. Die Polizei bildete eine Sonderkommission, die Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ berichtete mehrfach. Gefunden wurde das Mädchen bis heute nicht. Inzwischen wäre Katrin über 30, hätte vielleicht selbst Kinder. Für die Familie von Katrin Konert ist ihr Verschwinden ein immerwährender Horrortrip. Es schnürt einem den Magen zu, wenn man darüber nachdenkt, was da täglich an Leid zu erdulden ist. Für Außenstehende sollte das Schicksal der Verschwundenen – aller Verschwundenen – aber dennoch kein Anlass sein, falsche Ängste zu schüren. (RT)

Mehr Infos unter www.vermisste-kinder.de.

Vermisste Kinder
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