20180514_163310-e1528102053620

„Wer Denkmäler der Vergangenheit stürzt, will den Schlussstrich unter Geschichte…“

Wo endet Gedenken? Wo beginnt die Verherrlichung des Falschen? Darum wird in Lüneburg mal wieder gestritten. Nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal. Meist aber viel zu schrill und mit zu viel Pathos. Es gibt viele verschiedene Arten von Denkmälern: Das Mahnmal, Statuen und Skulpturen, das Ehren- oder Baudenkmal und zahlreiche andere. Umstritten und bekannt sind nur die wenigsten. Das ist auch in Lüneburg nicht anders. Über 1.400 Denkmäler befinden sich allein im Stadtgebiet, so die Auskunft der in Lüneburg zuständigen Mitarbeiter für Denkmalpflege. Nur einige haben überhaupt das Zeug, den Zorn von selbsternannten „Denkmalstürmern“ zu erregen. Ein steinernes Ehrenmal für eine Wehrmachts-Einheit gehört ganz sicher dazu. Auf dem Monument wird der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten der 110. Infanterie-Division gedacht. Die 110. Infanterie-Division wurde in Lüneburg 1940/1941 im Zusammenhang mit der Planung des Angriffs auf die Sowjetunion aufgestellt, insgesamt 15.000 Soldaten. In einer blutigen Kesselschlacht südwestlich von Minsk wurde die Einheit im Juli 1944 fast völlig vernichtet. Nur sechs Offiziere sowie zirka 280 Unteroffiziere und Mannschaften konnten entkommen. Der Vater von Rudolf K. (77) gehört zu den Gefallenen. „Und zu den Geächteten“, erzählt er mit gesenktem Blick. Schon häufiger war Rudolf K., der heute in Chemnitz lebt und früher an der Universität Geschichte lehrte, in Lüneburg. Er mag die Stadt, aus deren Nähe sein Vater stammt. Das Ehrenmal sieht er das erste Mal. Beim Lesen der beschmierten Inschrift („Es sage keiner, dass unsere Gefallenen tot sind“) kann er Tränen nur mit Mühe unterdrücken: „Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater, hätte ihn aber gerne kennengelernt.“ Erst vor Jahren hat er Briefe lesen können, die dieser von der Front in Russland an seine Mutter geschrieben hat. Neben Liebesbezeugungen und Gedichten großenteils schwermütige Zeilen eines Mannes, der nur eines wollte: Das Kriegsende erleben und möglichst gesund zurück nach Hause zu Frau und Sohn.

Es kam anders.

Vom Tod des Vaters, irgendwann im eisigen Winter 1943, hat die Mutter offiziell lange nichts erfahren, er galt Jahrzehnte als vermisst. Weiß Rudolf K. von den Vorwürfen, die der Einheit seines Vater gemacht wird, von den Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in den Lagern von Osaritschi (Weißrussland)? Ja, davon wisse er, so K. Und das treibe ihn auch um. Er könne und wolle sich aber nicht vorstellen, dass sein Vater daran beteiligt gewesen sei, in den Briefen wäre dazu jedenfalls nichts zu finden. Er habe ein anderes Bild von seinem Vater, sagt Rudolf K.: „Genau darum fühle ich mich auch nicht als Täter-Sohn. Und überhaupt: Nicht jeder Wehrmachtssoldat war ein Verbrecher. Das zu behaupten ist einfach nur unendlich geschichtslos.“

Geschichtslos wäre es für Rudolf K. auch, den „Stein des Anstoßes“ einfach abzureißen, wie von vielen Seiten immer mal wieder gefordert werde: „Die das fordern, vergessen, dass Geschichte auch etwas ist, was ausgehalten werden muss. Deutschland hat nun einmal auch düstere Zeiten erlebt.“ Denkmäler müssten allerdings mehr erklärt werden, ergänzt er. „Wer sie dagegen einfach nur entfernen will, zieht einen Schlussstrich unter all das Geschehene. Man sollte die Diskussion über Denkmäler, ich zitiere mal Heinz Buschkowsky, Ex-Bezirksbürgermeister von Neukölln, nicht ,Klugscheißern mit Wikipedia-Wissen’ überlassen…“

Pfad der Erinnerung

Das Projekt Friedenspfad in Lüneburg ist eine Idee der Friedensstiftung Günter Manzke, die 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1995 in Lüneburg gegründet wurde. 24 Orte der Erinnerung im Stadtgebiet wurden für einen ganz besonderen Stadtrundgang ausgewählt. Die Homepage des Friedenspfades ist unter www.friedenspfad-lueneburg.de erreichbar. Apps für iOS und Android liegen kostenfrei zum Download in den Stores vor. (RT)

Stein des Anstoßes
Cookie Consent mit Real Cookie Banner