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Petra Potthoff gibt Kindern in Krisensituationen kurzfristig ein Zuhause

Sie wollte mehr für ihre eigenen Kinder da sein und zusätzlich fremden Kindern Geborgenheit bieten: Petra Potthoff ist seit fast zehn Jahren in der Bereitschaftspflege beschäftigt. Seitdem hat sie 142 Kindern in der Not kurzfristig ein Zuhause gegeben. Mit dem Thema Pflegekinder hatte die 53-Jährige schon zu tun, seit sie acht Jahre alt war. „Meine Tante hat in der Kurzzeitpflege Kinder aufgenommen”, erinnert sich die Bleckederin. „Sie hat sogar ein Baby aufgenommen. Das hat mich beeindruckt.” Während sie in Westfalen in Vollzeit berufstätig war, behielt sie die Idee, Kinder in Pflege zu nehmen, immer im Hinterkopf. Als ihre beiden Töchter im Kindergartenalter waren, beschloss Petra Potthoff, ihr Leben umzudrehen: Um mehr für ihre Kinder da zu sein, gab sie ihre Arbeit auf, zog zurück in ihre Heimat Bleckede – und beschloss, in der Bereitschaftspflege ein Kind aufzunehmen. In der familiären Bereitschaftspflege werden Kinder und Jugendliche von null bis 17 Jahren in akuten Krisensituationen am Tag oder in der Nacht für einen befristeten Zeitraum aufgenommen. Im Gegensatz zur Kurzzeitpflege muss die betreuende Person in der Bereitschaftspflege rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche spontan ein Kind aufnehmen können – in der Kurzzeitpflege gibt es zeitlich mehr Vorlauf, wenn zum Beispiel die Eltern für einige Wochen zur Kur oder ins Krankenhaus müssen.

Kinder aus schwierigen Situationen

Wer ein Pflegekind bei sich aufnehmen möchte, vereinbart in der Hansestadt Lüneburg einen Termin für ein Informationsgespräch mit einem Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes oder nimmt an einem Informationsabend des Landkreises teil. Außerdem ist ein qualifizierender Pflegekurs Voraussetzung, den die Volkshochschule regelmäßig anbietet. „In den Gesprächen muss man viele Fragen beantworten. Man wird tatsächlich durchleuchtet, aber ich habe es positiv empfunden”, so Petra Potthoff. Während des Pflegekurses entschied sie sich für die Bereitschaftspflege. „Es ist für mich toll, Kindern aus einer schwierigen Situation zu helfen.” Von der Entscheidung bis zur Aufnahme des ers-ten Kindes verging ein Jahr. An das erste Kind erinnert sich die 53-Jährige noch genau: „Es war ein siebenjähriges Mädchen, das sexuellen Missbrauch erlebt hatte. Es hat zehn Tage bei mir gelebt und ist dann in eine professionelle Einrichtung mit psychologischer Betreuung gekommen.” In der Bereitschaftspflege nimmt Petra Potthoff Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren auf – männliche Jugendliche nimmt sie nicht auf, da sie inzwischen von ihrem Mann getrennt ist und nun alleinerziehend ist. „Mit kleinen Kindern macht es mir am meisten Spaß”, berichtet sie. „Das Jüngste war zehn Tage alt.” War die Aufnahme eines fremden Kindes für sie anfangs sehr aufregend, ist bei ihr nach knapp zehn Jahren eine Art Routine eingekehrt – auch wenn es immer wieder unsichere Komponenten gibt. „Mal erfährt man etwas über den Hintergrund des Kindes, mal nicht. Ich weiß oft nichts über seine Gewohnheiten oder Essen und Schlafen. Manchmal bekomme ich aber auch einen Zettel mit den wichtigsten Infos”, erklärt Petra Potthoff und fügt hinzu: „Bei wirklich kleinen Kindern muss man sich erst einfummeln.” Es gelingt ihr meist schnell, einen Zugang zu dem Kind zu bekommen. Ein Kind in den Arm zu nehmen, ist für sie selbstverständlich, doch sie muss aufpassen: „Ich habe ein Bauchgefühl und erkenne, ob ich ein Kind erstmal in Ruhe lassen muss.” Die Betreuung kleinerer Kinder fällt ihr leichter. „Ich finde es mit Jugendlichen am schwierigsten, weil man da auch mit Dingen wie Rauchen, Drogen und Weglaufen zu tun hat.”

Hoher Bedarf an Familien

Wenn das Wohl eines Kindes in seiner Herkunftsfamilie nicht mehr gewährleistet werden kann, wählt das Jugendamt – möglichst unter Mitwirkung der Eltern – die geeignete Maßnahme für das Kind, damit es sich gesund entwickeln kann. Die Gründe dafür, dass ein Kind nicht in der eigenen Familie leben kann, können vielfältig sein – sei es, dass die Eltern oder Elternteile schwer erkrankt sind, sich in einer Lebenskrise befinden oder sich aufgrund ihrer eigenen Probleme nicht verlässlich um ihre Kinder kümmern können. Die Pflegekinderdienste von Stadt und Landkreis Lüneburg haben einen hohen Bedarf an Pflegefamilien. Insbesondere Personen, die wie Petra Potthoff eine familiäre Bereitschaftsbetreuung übernehmen oder wie damals ihre Tante ein Kind in Kurzzeitpflege aufnehmen können, während die Perspektive des Kindes geklärt wird, werden gesucht. Als Petra Potthoff die Bereitschaftspflege übernahm, war ihr Mann berufstätig, während sie ihren Bürojob aufgegeben hatte. In der Bereitschaftspflege, die meist Paare übernehmen, darf ein Partner voll berufstätig sein, während der andere immer auf Abruf bereitstehen muss. „Es kann sein, dass man ein Kind innerhalb von einer bis anderthalb Stunden aufnehmen muss”, erklärt die Bleckederin. Ihr letztes Pflegekind, einen zweijährigen Jungen, der vier Wochen bei ihr blieb, musste sie nachts um zwei im Klinikum Lüneburg abholen. Ihre eigenen Kinder waren fünf und sieben, als die ersten fremden Kinder bei ihr einzogen. „Meine Kinder sind da voll mit reingewachsen”, so Petra Potthoff. Einzig wenn andere Kinder ihre Mutter „Mama” genannt hätten, seien sie nicht begeistert gewesen, doch alles Andere sei gut gelaufen, erinnert sie sich. „Sie haben viel daraus gelernt.” In die Entscheidung, ob es mit der Bereitschaftspflege in der Familie weitergehen soll, bezog sie ihre Kinder mit ein – so wurde jedes Jahr Weihnachten entschieden, ob im kommenden Jahr wieder Kinder aufgenommen werden sollen. „Meine Kinder sollten gut damit zurechtkommen. Aber sie haben auch viele Vorteile erkannt, zum Beispiel, dass ihre Mama immer da ist.” Inzwischen sind ihre Töchter 16 und 18. Über die Jahre hat Petra Potthoff ihre Bereitschaftspflege ausgeweitet und bietet nun drei Plätze für Kinder verschiedener Altersgruppen an. Dazu verfügt sie über drei Kinder- oder Jugendzimmer, die für unterschiedliche Altersgruppen gestaltet sind. Sollte sie Geschwisterkinder aufnehmen, kann es auch vorkommen, dass ein Kind mit seinem Bett zum Geschwisterkind nebenan zieht.

Humor ist wichtig

So vielfältig die Geschichten der Pflegekinder, so unterschiedlich sind auch Petra Potthoffs Erlebnisse mit ihnen. „In den zehn Jahren habe ich vielleicht zehn schwierige Kinder gehabt, und eins musste ich abholen lassen”, erzählt sie. Neben ihren überwiegend positiven Erfahrungen hatte auch sie schon Kinder bei sich, die über Tische und Bänke gingen oder bei ihr im Haus randalierten. Für diese seltenen Fälle gibt es einen Bereitschaftsdienst des Pflegekinderdienstes. Petra Potthoff hat auch das Recht zu sagen, dass sie der Betreuung nicht gewachsen ist. Bei Schwierigkeiten spricht sie mit ihrer Ansprechpartnerin beim Pflegekinderdienst. „Wir haben bisher immer eine Lösung gefunden”, meint sie. Manchmal helfe einfach dreimal tief durchatmen, und auch Humor spiele in ihrer Familie eine wichtige Rolle. Länger als einen Monat bleiben die Kinder nicht in der Bereitschaftspflege – für Petra Potthoff ein überschaubarer Zeitraum, in dem sie oft viele positive Veränderungen bei ihren Schützlingen wahrnimmt. „Wenn ein Kind bei mir richtig aufblüht, ist das mein Lohn”, meint sie. Viele Kinder kämen aus schwierigen Situationen, hätten im Winter nur Badelatschen an den Füßen oder kämen beim Anblick ihres vollen Kühlschranks aus dem Staunen nicht mehr heraus. Petra Potthoff tut alles, um den Kindern die Zeit so schön wie möglich zu machen. „Ich verwöhne sie sehr gerne”, sagt sie. Gemeinsame Ausflüge zum Tierpark oder an die Elbe gehören da genauso dazu wie das regelmäßige Einkaufen oder Besuche bei Freunden. „Wenn ein Kind geht, bin ich erstmal traurig, da muss auch schon mal ein Tränchen fließen”, meint sie. „Ich kann aber loslassen, das gehört dazu. Bald kommt sicher der nächste Anruf und das nächste Kind braucht Hilfe.” Zudem wisse sie, dass jedes Kind in eine bessere Situation komme als die, aus der es gekommen sei. „Dann kann man sich nur freuen für die Kinder.” Über die Zeit mit jedem Kind hat sich die 53-Jährige ein Fotoalbum angelegt mit Erinnerungen an gemeinsame Unternehmungen. Jedes Kind, das bei ihr auszieht, erhält ebenfalls ein Fotoalbum als Abschiedsgeschenk.

Kinder sind dankbar

Auch Ausnahmesituationen muss Petra Potthoff meistern. Sei es die 13-Jährige, die schwanger zu ihr kam, vor ihrer Familie geschützt werden musste und eine Abtreibung vornahm, die zwei kleinen Jungs aus Afghanistan, die kein Wort Deutsch konnten oder ein drei Monate altes Baby mit Schädelbruch – am Ende verbucht die vorübergehende Pflegemutter ihre Erfahrungen als positiv: „Die Mehrzahl ist toll, weil die Kinder so dankbar sind. Ich mache das für die Kinder.” Während der Zeit bei ihr sollen die Kinder weiterhin in die ihnen vertraute Schule oder den Kindergarten gehen. Aus diesem Grund werden die Bereitschaftsfamilien danach ausgewählt, dass der Fahrweg nicht zu weit ist. Dennoch dürfen die Kinder nicht im gleichen Ort untergebracht werden. Auch die Fahrten zum Umgangskontakt mit den leiblichen Eltern, der in der Regel angeboten wird, sollen durch die Unterbringung in der Nähe leichter gemacht werden. Für Petra Potthoff als Alleinerziehende bedeutet das bei voller Belegung mit drei Kindern viel Fahrerei. Die leiblichen Eltern haben einen Rechtsanspruch darauf zu wissen, wo ihr Kind ist. Wenn ein Kind vor der eigenen Familie geschützt werden muss, wird die Adresse anonym gehalten. In solchen Fällen ist auch Petra Potthoff vorsichtig, wohin sie mit ihren Schützlingen geht. „Ich bin zum Glück noch keinem aus den Familien der Kinder begegnet, aber man denkt schon drüber nach. Man ist mit Pflegekindern auf jeden Fall vorsichtiger als mit den eigenen.” Zwar sind nicht durchgehend Kinder bei Petra Potthoff in der Betreuung, dennoch hat sie einen Anspruch auf Urlaub. Sechs Wochen im Jahr hat sie, in denen sie nicht rund um die Uhr in Alarmbereitschaft sein muss – und auch wegfahren darf sie dann mal. (JVE)

Infos: www.pflege-und-adoptivkinder-lueneburg.de

„Ich mache es für die Kinder“
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