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Jörg Lymant aus Adendorf fährt Dragsterrennen

Jörg Lymant ist nicht nur Motorradfahrer. Mit seinem Spezialmotorrad kann er keine längeren Strecken zurücklegen – es ist für den kurzen Moment der Beschleunigung gebaut. Der Adendorfer ist Dragrace-Fahrer. In dieser Saison will er Europameister werden. Schon im Kindesalter interessierte sich Jörg Lymant für alles, was Räder hat. Mit zehn bastelte er an Fahrrädern, später fuhr er ferngesteuerte Autos mit Benzinmotor, noch später Mofa und Moped – auch im Gelände. „Dann kam die Leidenschaft für Ducati“, erinnert sich der 48-Jährige. Mit 20 Jahren schaffte er sich sein erstes eigenes Motorrad an, mit 25 hatte er seine erste Harley Davidson. Um die Anschaffungskosten gering zu halten, kaufte er Fahrzeuge mit Unfallschäden und schraubte daran herum. „Die Harley hab ich nach meinem Konzept umgebaut“, erzählt er. „Es sollte ein großer Motor mit viel Leistung sein.“ Es brauchte vier Jahre, bis der Hobby-Schrauber das Motorrad nach seinen Wünschen hergerichtet hatte. Durch eine Harley-Zeitschrift, aber auch durch das Fernsehen wurde der Adendorfer auf Dragster- oder Beschleunigungsrennen aufmerksam. In Ganderkesee bei Bremen besuchte er vor 20 Jahren sein erstes Dragsterrennen – und war fasziniert. Die Gemeinschaft der Fahrer überraschte ihn. „Die Leute waren das Gegenteil von dem, was ich erwartet habe“, erinnert er sich. Er bemerkte einen großen Zusammenhalt und kameradschaftlichen Umgang. Als er sich ein weiteres Rennen auf dem Hockenheim-Ring ansah, stand der Entschluss fest, selbst Dragsterrennen zu fahren.

Phantasie und Geschick zählen

Beim Dragsterrennen werden kurze Distanzen von einer Viertelmeile (402,34 Meter) oder einer Achtelmeile (201,17 Meter) zurückgelegt. Entscheidend ist, aus dem Start möglichst schnell Geschwindigkeit aufzunehmen. Die Drag Bikes kommen von 0 auf 100 in 1,1 Sekunden, nach 200 Metern haben sie bereits eine Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern erreicht. Zum Vergleich: Ein Sportwagen benötigt von 0 auf 100 rund 5 Sekunden, ein Formel1-Wagen 2 Sekunden. Für diese Wettbewerbe werden Strecken mit besonders präpariertem Untergrund benötigt, normaler Asphalt würde dem nicht standhalten. In Deutschland ist das nur noch in Hockenheim möglich. „Hockenheim ist die einzige professionelle Strecke in Deutschland. Zu den Rennen kommen immer zirka 50.000 Leute“, erklärt Lymant. An den Rennen in Europa nehmen wenige deutsche Teams teil. Der Sport, der seinen Ursprung in den USA hat, wird in Europa am meisten von Skandinaviern und Niederländern ausgeübt. Geld verdient man damit hierzulande nicht – in den USA hingegen schon. Jörg Lymant fasziniert sein Hobby aus verschiedenen Gründen. Die relativ freien Reglements lassen viel Spielraum, am eigenen Motorrad Feinheiten so zu verändern, dass es noch schneller beschleunigt. „Man muss das Material optimal an die Streckenverhältnisse anpassen. Nicht alle treten mit dem gleichen Material an. Wer die größte Phantasie und das größte Geschick hat, baut das schnellste Motorrad“, erklärt er. Doch die wenigsten Dragrace-Fahrer verwenden ein fertiges Drag Bike, das ihnen so hingestellt wird. Das Rennen beginnt in der Werkstatt – in Jörg Lymants Fall in seiner großen Garage, wo er mit Freunden regelmäßig herumbastelt. „90 Prozent des Hobbys sind Tüfteln und Schrauben, Fahren ist nur das i-Tüpfelchen“, meint er.

Das Material muss halten

Das Ziel: immer leichtere Werkstoffe zu verbauen und immer höhere Drehzahlen zu erreichen. Aktuell schafft seine zweizylindrige Rennmaschine der Marke Buell bei einem Hubraum von 2,6 Litern rund 10.000 Umdrehungen. Einige Maschinen sind schon erledigt, bevor das eigentliche Rennen losgeht: Es ist keine Seltenheit, dass bereits beim Burnout, dem Aufwärmen vor der Startlinie, Motoren ihren Geist aufgeben. Und selbst wenn das Motorrad startklar ist, kommt nicht jeder ins Ziel. „Man kann Rennen und Erfolge nur einfahren, wenn das Material hält“, weiß Lymant. An Renntagen gibt es zwischen den Läufen nur rund eine Stunde Zeit, um alle Teile der Maschine zu überprüfen und sie für den nächsten Lauf vorzubereiten. Dafür testet der Rennfahrer – in der Regel mit Unterstützung seines Co-Chiefs Michael Glowatzki (54), manchmal mit noch mehr Helfern – anhand einer Checkliste Motor, Ventile, Kraftstoff, Kupplung, Reifen und mehr. Co-Chief Michael wertet die Daten aus, die er anhand von rund 30 an der Maschine angebrachten elektronischen Sensoren erhält. Jörg Lymant wagte beim Einstieg in den Sport sofort eine hohe Leistungsklasse und wurde in der Deutschen Meisterschaft gleich Vierter. Inzwischen tritt er in der Klasse Super Twin Top Gas an. Er ist mehrfacher nationaler und holländischer Meister und erreichte bei der EM den dritten Platz. Mit seiner neuen Maschine, die ihm im vergangenen Sommer ein amerikanischer Harleyladen zur Verfügung gestellt hat, erreichte er am Ende der letzten Saison in Holland die schnellste Zeit, die je ein Deutscher in seiner Klasse gefahren ist – und die fünftbeste in Europa überhaupt. „Ich bin knapp hinter dem amtierenden Europameister ins Ziel gefahren“, erzählt er schmunzelnd. Doch großes Konkurrenzdenken gibt es nicht unter den Dragracern. „Jeder weiß die Leistung des anderen zu bewerten“, meint Lymant. Da klopfe man dem Sieger schon mal anerkennend auf die Schulter und lobe ihn für seine Leistung. Zurzeit befindet sich Jörg Lymant mit seinem Team in der Vorbereitung auf die nächste Saison, die im Mai beginnt und sechs Rennen umfasst. Üben kann er vor den Rennen nicht, da es keine geeignete Strecke gibt, und so ist vieles nur Theorie. Während der Saison sind Jörg Lymant und Michael Glowatzki mindestens zweimal in der Woche in der Werkstatt. Das Schrauben kostet den hauptberuflichen Kaufmann Lymant viel Zeit. Geld spart er seit Jahren dadurch, dass er Bauteile selbst erstellt oder kostengünstig von seinen Freunden Ingo Höppnack und Rüdiger Buchholz in einer Lüneburger Maschinenbau-Fabrik herstellen lässt. Für die eigene Herstellung schaffte sich der Rennfahrer eigens eine computergesteuerte Fräsmaschine an.

Man hilft sich bis zur Startlinie

„Motorsport ist immer eine Materialschlacht“, sagt dazu Co-Chief Michael. Der Wartungsaufwand bei den Rennmaschinen sei natürlich hoch – wenn es gut laufe, halte sie eine Saison durch und müsse dann komplett überholt werden. Besondere Ersatzteile bestellen sie über Rennteams in den USA, die zum Teil gebraucht oder B-Ware sind. „Sonst wäre es für uns finanziell gar nicht möglich “, erklärt Lymant, der weiß, dass sie im Starterfeld ein vergleichsweise kleines Licht sind. Doch die Dragracer helfen sich an Renntagen auch gegenseitig aus. Versagt eine Maschine schon vor dem Start, unterstützt man sich – bis zur Startlinie. „Jeder verliert lieber gegen einen starken Gegner als ohne Gegner.“ Die Perfektion der Rennmaschine ist aber nur eine Seite des Sports. Auch der Rennfahrer muss sich topfit halten, denn auf ihn wirken während der blitzschnellen Beschleunigung, die einem Raketenstart ähnelt, ungeheure Kräfte. Lymants neues Motorrad übt auf ihn eine Kraft von mehr als 3g aus. Während des Rennens kommt es auf Körperspannung und Reaktionsvermögen an. Um das auszuhalten und nicht vom Motorrad zu fliegen, achtet der 48-Jährige auf viel Sport und Training der Arm-, Schulter- und Nackenmuskulatur. Außerdem spielt er seit Jahren Eishockey. Ihre körperliche Fitness müssen die Rennfahrer für ihre offizielle Lizenz jede Saison erneut nachweisen. Kein Motorradfahrer redet gerne über das Verletzungsrisiko bei seinem Hobby – bei Dragrace-Fahrern ist es unbestreitbar hoch. Auch Jörg Lymant hatte vor vier Jahren bei einem Rennen einen schweren Unfall. Aufgrund eines technischen Defekts konnte er nicht vom Gas gehen. „Da bin ich bei 250 Stundenkilometern abgestiegen“, sagt er schmunzelnd. Durch geschicktes Abrollen und das Schützen von Kopf und Händen kam der Rennfahrer erstaunlicherweise nur mit Prellungen davon. Lymant: „Beim Eishockey fällt man auch oft. Man muss beim Fallen entscheiden, wie man fällt. Ich durfte mit den Händen nur ganz kurz den Asphalt berühren. Aber von meinen Klamotten war fast nichts übrig.“ Danach stand für ihn die Frage im Raum, ob er den Unfall in seinem Kopf zukünftig ausblenden kann. Doch obwohl er noch nicht wirklich wieder fit war, trat er schon zwei Wochen nach dem Unfall beim nächsten Rennen in Hockenheim an. „Das war ein elementarer Moment. Die Nervosität war extrem groß“, erzählt er. Doch er sei hinterher so voller Adrenalin gewesen, dass er entschied, weiter zu machen. „Ich wusste, das kann es nicht gewesen sein.“ Zu groß war der Rausch an der Beschleunigung, die laut Jörg Lymant mit der Achterbahn vergleichbar ist. „Es gibt keinen anderen Sport, wo der Moment so intensiv ist.“ Jörg Lymant und Michael Glawotzki haben das ehrgeizige Ziel, in dieser Saison Europameister zu werden. „Wir fahren nur zu den Rennen, um zu siegen“, betont Lymant. „Wir fahren ja nicht nur aus Geselligkeit.“ Wichtig sei außerdem, bereits aufgestellte Zeiten erneut zu fahren – und eine „magische Zeit“ unter 6 Sekunden zu erreichen. (JVE)

Der Rausch der Beschleunigung
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