Impfmüdigkeit nimmt zu– ein Spiel mit Krankheit und Tod

Impfungen sind an sich keine große Sache. Dennoch schrecken viele vor ihnen zurück. Mit teilweise gefährlichen Folgen.

Ob Grippe, Keuchhusten, Masern oder andere epidemische Krankheiten: Die Ausrottung all dieser Menschheits-Übel, gegen die es längst wirksame Impfstoffe gibt, scheitert in unseren Breitengraden nicht an der Verfügbarkeit präventiver Gegenmittel. Sie scheitert an der Tatsache, dass sehr viele Menschen diese Krankheiten offensichtlich nicht als Gefahr ernstnehmen – vor allem nicht als Gefahr für sich selbst. Es scheint ähnlich wie mit Kriegen, Erdbeben oder Hungersnöten: Wer nie persönlich oder durch eindringliche Schilderungen naher Verwandter oder Freunde „aus erster Hand“ Bekanntschaft mit solchen Gefahrensituationen gemacht hat, weiß zwar, dass sie existieren – aber eben immer nur für andere, nicht für den „Nichtbetroffenen“ selbst. Die Folge: Jedes Jahr sterben in Deutschland nach Studien deutlich über 20.000 Menschen, nur weil sie auf notwendige Impfungen verzichtet haben. Auch die letzte Grippewelle hätte nicht solche Ausmaße angenommen, wenn mehr Menschen die Influenza als das erkennen würden, was sie ist – eine gefährliche Virusinfektion. Bundesweit – auch in Lüneburg – zirkulierten in den letzten Wochen neben H1N2- (Schweinegrippe) H3N2-Virustypen, die gerade bei älteren Menschen und Schwangeren häufig zu schweren Komplikationen führen. Gerade diese Risikogruppen verweigern aber zunehmend eine Schutzimpfung, verweisen, wenn man sie nach Gründen fragt, auf angeblich fehlende Wirksamkeit. Susanne Glasmacher vom Robert Koch-Institut (RKI) kann das nicht verstehen: „Selbst ein mäßiger Impfschutz ist immer noch besser als gar keiner. Wenn es draußen in Strömen regnet, hilft ein löchriger Schirm auch ein bisschen.“  Zuletzt sorgten steigende Masern-Erkrankungen für ein neuerliches Anheizen der Impf-Diskussion. Die Experten vom Impfinstitut Lüneburg warnen: Eine gefürchtete Begleiterscheinung der Masern, die Gehirnentzündung, entwickelt sich bei einem von 1000 erkrankten Kindern. Auch nach einer Impfung tritt dies in einem von einer Million Fällen auf – das ist aber tausend Mal seltener als bei einer Erkrankung. Unbestritten ist, dass Impfstoffe Nebenwirkungen haben können. Fakt ist aber auch: Das Risiko für schwerwiegende Komplikationen durch Masern-Infektionen ist bei Kindern unter fünf Jahren und bei Erwachsenen über 20 Jahren erhöht. Das Problem einer Nicht-Impfung liegt zudem in der akuten Ansteckungsgefahr. Infiziert sich ein ansonsten gesundes Kind mit Masern, ist es eine Gefahrenquelle für andere Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden konnten – etwa weil sie an einer chronischen Virenerkrankung leiden. Für diese Kinder mit einem geschwächten Immunsystem kann eine Masern-Infektion lebensbedrohlich sein. Aktuell nehmen auch Keuchhusten-Fälle in Deutschland wieder zu. Was für Erwachsene meist nur „unangenehm“ ist, kann für Kleinkinder im Extremfall tödlich enden. Noch in den 1930er Jahren – also vor der Verfügbarkeit einer wirksamen Schutzimpfung – hatte die ansteckende Krankheit nach Angaben des RKI rund 10.000 Säuglinge pro Jahr das Leben gekostet. Die flächendeckende Impfung im Kleinkindalter hat das Auftreten der Krankheit seither um fast 97 Prozent reduziert.

Da es jedoch keine dauerhafte Prävention vor dem Keuchhusten gibt, ist eine regelmäßige Auffrischung der Schutzimpfung zwingend erforderlich: Nur dann kann man sich selbst und seine Umgebung zuverlässig vor einer Infektion schützen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine Auffrischung des Pertussis-Schutzes im Abstand von maximal zehn Jahren – gemeinsam mit der Impfung gegen Diphterie und Tetanus. Entweder wissen das viele Erwachsene nicht – oder wollen es einfach nicht wissen: Die Keuchhusten-Impfraten, die bei Kleinkindern fast 100 Prozent und im Grundschulalter in allen Bundesländern immerhin noch 90 bis 95 Prozent betragen, sinken mit zunehmendem Alter dramatisch. Junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren sind nur noch zu rund einem Drittel wirksam gegen Keuchhusten geimpft. Bei Erwachsenen über 40 Jahren sinkt die Rate auf weniger als ein Viertel. Die Impfung gegen die „Kinderkrankheit“ halten die meisten für schlichtweg überflüssig – häufig leider auch diejenigen, die aus medizinischen oder erzieherischen Gründen ständig mit Kleinkindern zu tun haben. Impf-Skeptiker können Zahlen und Fakten scheinbar ohnehin nicht überzeugen. Schon die Einführung der Pockenschutzimpfung im Jahr 1874 wurde abgelehnt, obwohl man die Pocken erst mit der Impf-Pflicht vollständig ausrotten konnte. Die Argumente der Impf-Gegner sind seitdem dieselben geblieben: vor allem die angeblich unkalkulierbaren Nebenwirkungen sowie religiöse Motive werden genannt. Oder auch die „Alles was uns nicht tötet, härtet uns ab“-Ansicht: Kinder sollten die Krankheiten durchmachen, das sei für eine normale Entwicklung ihres Kindes wichtig. Der bekannte TV-Moderator und Arzt Dr. Eckhart von Hirschhausen erntete nach einer Fernseh-Diskussion viel Zustimmung unter Kollegen – vor allem unter vielen Kinderärzten. Die teilweise abstrusen Begründungen von Kritikern regelmäßiger Schutzimpfungen hatte er live so zusammengefasst: „Das ist Bullshit hoch zehn“. Der SPIEGEL beschrieb es in einem Artikel anschließend sogar noch drastischer: „Impfgegner sind Trittbrettfahrer. Sie können sich ihren Hokuspokus nur leisten, weil die große Mehrheit, die sie verachten, geimpft ist. Würden die Impfgegner alle gemeinsam ungeimpft in einem eigenen Staat zusammenleben, wären viele von ihnen längst tot.“ (RT)

Impfsprechstunde, Impfungen, Reiseimpfberatung 

Dr. med. Sebastian Graefe, Facharzt für Mikrobiologie, bietet dienstags von 8 bis 10 Uhr eine Impfsprechstunde im Gesundheitsamt in Lüneburg, Am Graalwall 4, an. Impfpass mitbringen! Außerhalb der Impfsprechstunden ist die Praxis Dr. Graefe unter Tel. (0 41 31) 73 53 73 erreichbar.

Wissen, was schützt:

Informationen zu Impf-Empfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) für Kinder, für Jugendliche und für Erwachsene auch auf www.impfen-info.de

Angst vor dem kleinen Pieks
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