Die Lüneburgerin Maiko Wall arbeitet als Japanisch-Dolmetscherin

Maiko Wall ist in der deutschen Sprache genauso zu Hause wie in der japanischen. Die 35-Jährige arbeitet als Dolmetscherin für japanische Medien. Aufgewachsen ist Maiko Wall in der Nähe von Kassel. Ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Japanerin, die seit den siebziger Jahren in Deutschland lebt. Während die Mutter immer konsequent japanisch mit ihren Kindern sprach, machten sich Maiko und ihre zwei älteren Brüder einen Spaß daraus, eine Mischung aus Japanisch mit deutschen Endungen zu sprechen. Anwenden konnten die Geschwister ihr Japanisch vor allem bei der Verwandtschaft. „Wir waren früher jedes Jahr in den Sommerferien bei den Großeltern in Japan“, berichtet die 35-Jährige. „Meine Mutter kann ja Deutsch, aber in Japan waren wir gezwungen, Japanisch zu sprechen.“ Zu Schulzeiten spielte es für Maiko Wall keine besondere Rolle, zweisprachig aufzuwachsen. Doch nach dem Abitur entwickelte sie den Ehrgeiz, ihre Muttersprache zu vertiefen. „Meine Mutter hat uns nie gezwungen, Japanisch zu schreiben. Ich hatte aber Interesse daran“, erzählt sie. „Ich war die Einzige aus der Familie, die das bewusst erkunden wollte.“ Deshalb ging sie für ein Jahr nach Tokio, um einen Intensiv-Sprachkurs zu machen. Die japanische Schriftsprache ist eine Kombination aus Lautschrift und Symbolschrift, die aus dem Chinesischen übernommen wurde. Schwierig sind die feinen Unterschiede in der Betonung und Aussprache. „Es hilft zwar, wenn man es schon sprechen kann. Aber es war auch für mich hauptsächlich mit Pauken verbunden“, erinnert sich Maiko Wall. 2002 kam die Halbjapanerin zum Studium der Angewandten Kulturwissenschaften nach Lüneburg. Ein konkretes Berufsziel hatte die junge Studentin anfangs nicht, doch ihr Schwerpunkt Medien erwies sich später für sie als nützlich. Im Studium hatte sie Angst, ihre Japanisch-Kenntnisse wieder zu verlieren. Über die Universität organisierte sie sich deshalb einen sechsmonatigen Studienaufenthalt in Naruto, der japanischen Partnerstadt Lüneburgs. Danach hängte sie ein sechsmonatiges Praktikum in der deutschen Botschaft in Tokio an.

Kontakte
durch Mundpropaganda

Um auch von Lüneburg aus den Draht zum Japanischen nicht zu verlieren, besuchte Maiko als Gasthörerin Japanologie-Veranstaltungen der Universität Hamburg. Hier knüpfte sie viele Kontakte zu anderen Japanern und gewann neue Freunde dazu. Schnell war sie Teil eines Netzwerks, das im Medienbereich tätig war. Hieraus entstand später die Firma Dokuwa Communications, eine deutsch-japanische Filmproduktionsfirma, für die sie heute freiberuflich dolmetscht. Der Grundstein für Maiko Walls beruflichen Einstieg wurde während der Fußball-WM 2006 in Deutschland gelegt, als die Beteiligten von Dokuwa Communications noch Studenten waren. „Von allen japanischen Sendern waren Vertreter da, mit denen wir während der WM viel unterwegs waren“, erzählt Maiko, „darüber haben wir immer wieder neue Leute kennen gelernt. Durch Mundpropaganda hat sich viel daraus ergeben.“ Inzwischen ist Maiko Wall, die für die japanische Seite gerne auch den Mädchennamen ihrer Mutter, Nishikawa, verwendet, als freiberufliche Dolmetscherin gut im Geschäft. „Mein Job ist wirklich ein großes Glück, vielseitig und immer interessant“, meint sie. Aufträge von japanischen Fernsehsendern gibt es reichlich, zum Beispiel für Reisesendungen. Maiko Wall bereitet dafür alles vor Ort vor, bucht Unterkünfte, organisiert Interviewpartner und begleitet zum Dolmetschen die Filmdrehs. Aktuell arbeitet sie an einer Dokumentation für das öffentlich-rechtliche japanische Fernsehen über das „Napalm-Mädchen“ Phan Thi Kim Phúc, das während des Vietnamkrieges Opfer eines Napalm-Angriffs wurde. Da kurz danach ein Team vom stern das Mädchen besuchte, übernimmt Maiko in Deutschland das Interview mit dem damaligen stern-Redakteur sowie die Archivrecherche. „Es ist ein zufälliges Nebenprodukt, dass das Thema mit Deutschland zu tun hat“, erklärt sie.

Deutschland ähnelt Japan

Themen aus Deutschland, die für das japanische Fernsehen interessant sind, gibt es immer wieder. Dazu erklärt sie: „In vielen Aspekten sind Deutschland und Japan sehr vergleichbar. Beide sind Kriegsverliererländer. In Japan steht gerade eine Verfassungsänderung an, die dem Militär die Teilnahme an Auslandseinsätzen erlauben soll, was dem Kriegsverliererland bisher nicht erlaubt ist. Da diese Entscheidung in Deutschland auch vor langer Zeit gefallen ist, schauen die Japaner nach Deutschland.“ Auch in anderen Bereichen ähnele Deutschland Japan, zum Beispiel in Hinblick auf die wirtschaftliche Position oder die Überalterung der Gesellschaft. „Deshalb kommt es immer wieder vor, dass die Japaner nach Deutschland gucken“, sagt die Dolmetscherin. Neben der Arbeit für Dokuwa Communications dolmetscht Maiko Wall bei Bildungsreisen für japanische Erzieher in Deutschland. Auch in diesem Berufszweig interessieren sich die Japaner für die Abläufe in Deutschland. „In Deutschland steht freies Spiel mehr im Vordergrund als in Japan, dafür holen sie sich Anregungen.“ Sie selbst sei eher typisch deutsch aufgewachsen, erklärt sie. Ihre Mutter habe sie im Gegensatz zu anderen sogar früh dazu ermutigt, schnell selbstständig zu werden und hinaus in die Welt zu gehen. Streng war die Mutter bei ihrer einzigen Tochter hingegen im Umgang mit Jungs. „Das war für sie so weit weg von dem, was sie kannte“, meint die 35-Jährige.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Japanern entdeckt Maiko immer wieder feine Unterschiede: „Mit japanischen Freunden gibt es nicht so eine Streit- oder Diskussionskultur. Streit wird nicht ausgetragen, sondern es heißt nur: Die Dinge sind halt einfach so. Vieles bleibt einfach so stehen.“ Umgekehrt habe Japan eine sehr fröhliche Kultur, von der sich Deutschland eine Scheibe abschneiden könne. „Es nervt mich in Deutschland manchmal, dass jede Kleinigkeit auf Teufel komm raus kritisiert werden muss“, meint sie. Sie fühlt sich in beiden Ländern zu Hause, hält Kontakt zur verbliebenen Verwandtschaft in Japan.

In Cannes auf dem Roten Teppich

Ein einschneidendes Erlebnis machte Maiko Wall im Jahr 2016. Eine Filmproduktionsfirma suchte einen Dolmetscher für die Filmfestspiele in Cannes. Die erfolgreiche japanische Regisseurin Naomi Kawase hatte den Vorsitz der Jury für die Kurzfilme und suchte jemanden, der vor Ort vom Japanischen ins Englische übersetzen kann. Maiko machte sich in Windeseile schlau über die Regisseurin, denn zur Auswahl gab es ein Interview über Skype. „Scheinbar hat denen das gefallen. Zwei Tage später saß ich im Flieger nach Nizza“, erinnert sie sich. Eine Woche konnte die Dolmetscherin in Cannes die Luft der Stars und Sternchen schnuppern, war bei offiziellen Terminen die Übersetzerin für Naomi Kawase. „Das habe ich mir nicht erträumt, dass ich mal mit so vielen Prominenten im Fahrstuhl stehen würde“, sagt sie schmunzelnd. „Ich hatte das Gefühl, ich bin die Einzige, die nicht in der Gala vorkommt.“ Noch im selben Jahr wurde Maiko als Dolmetscherin per Skype dem Flaherty Filmseminar in den USA zugeschaltet, wo die Regisseurin Naomi Kawase ihre Dokumentarfilme zeigte. Hier stieß Maiko auf deren Film „Genpin“, der sie nicht wieder losließ. Die junge Lüneburgerin war zu dieser Zeit schwanger mit ihrer heute 15 Monate alten Tochter Momoko und war vielleicht deshalb so interessiert an dem Thema. „Genpin“, der in Deutschland noch nie im Kino oder Fernsehen lief und auch nicht auf DVD erhältlich ist, dreht sich um den Frauenarzt Dr. Tadashi Yoshimura und seine Klinik für natürliche Geburten mit angeschlossenem Geburtshaus in der japanischen Stadt Okazaki. In dem traditionell eingerichteten Geburtshaus können sich die Frauen schon während der Schwangerschaft regelmäßig treffen, um sich auf die Geburt vorzubereiten. Sie hacken Holz, bereiten Essen über dem Feuer zu und wischen die alten Wandpaneele – und empfinden so den Alltag im Japan der Edo-Periode nach. Die Regisseurin Naomi Kawase folgt in dem Film einigen der Frauen vor, während und nach der Geburt ihrer Kinder und zeigt Momente des puren Glücks, aber auch der tiefen Trauer. Sie geht dabei auf einfühlsame Weise auf die Konflikte ein, die zwischen Yoshimura, den Geburtshelferinnen und den werdenden Müttern entstehen bei dem Versuch, neuem Leben auf respektvolle Art in die Welt zu helfen.

Japanischer Film im Scala-Kino

Maiko Wall ist bis heute tief beeindruckt von dem Film. Sie ist nicht nur aus filmischer Sicht begeistert von der sensiblen Herangehensweise der Regisseurin. „Genpin“ führte ihr vor Augen, dass man sich als Schwangere unter normalen Umständen ein schönes Umfeld schaffen muss, um sich auf die Geburt vorzubereiten. Die Sichtweise des Films beeinflusste die Dolmetscherin unter anderem auch in Hinblick auf die Geburt ihrer eigenen Tochter, sie entschied sich für eine Hausgeburt. „Man sollte den Bezug nicht verlieren, dass eine Geburt etwas Natürliches ist“, meint sie. Passend zum Welthebammentag am 5. Mai will die junge Mutter den ungewöhnlichen Film nun auch dem deutschen Publikum nahe bringen. Sie organisierte neben Filmvorführungen in Hamburg (4. Mai) und Kassel (6. Mai) auch eine Vorführung am Samstag, 5. Mai, 16:45 Uhr im Scala-Kino. Der Film in Spielfilmlänge wird auf Japanisch mit englischen Untertiteln gezeigt. Maiko Wall weiß, dass es asiatische Film in Deutschland nicht leicht haben. Doch sie möchte, dass der Regisseurin Naomi Kawase, die in Europa vor allem in Frankreich anerkannt ist, mehr Beachtung geschenkt wird. Inzwischen verbindet sie mit der Japanerin mehr als nur eine Geschäftsbeziehung. (JVE)

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